SHT - Room 101

SHT – Room 101

SHT - Room 101

Wieder einmal ist es Morgen oder dass, was ich für den Morgen halte. Die Sonne steht relativ schief am Himmel und Licht bricht nur noch sporadisch zwischen die Häuserfluchten. Es ist still in unserem Haus. Leise Musik aus meinem Laptop. Blechern vor sich hinleiernd. Erquickender Kaffeedampf. Der Blick aus dem Fenster auf einen unbestimmten betonierten Platz und hölzernen Zaun. Ungekocht wartet das Frühstück auf irgendetwas. Man ist geneigt von Ruhe zu sprechen, wenn nicht gar Frieden.

Doch ich höre Schritte, ein seltsam unrhythmisches Poltern und Schlurfen, und ehe ich in der Lage bin, mich zu besinnen, steht er vor mir, einer unserer Nachbarn, man möchte fast von Bewohnern sprechen. Möglichst nüchtern versuche ich es mit einem knappen „Konnichiwa“ und warte fasziniert auf die folgende Entgegnung. Ausführlich könnte man über meine Beziehung mit diesem alternden Mann schwadronieren. Erste Annäherungsversuche, die Erkenntnis der Unkenntnis, Missverständnisse, die Reduzierung des Umgangs und unumstößliche Beschränkung aufs Nötigste. All diese Höhen und Tiefen, jedoch, konnten unserem alltäglichen Ritual nichts antun. Meine japanische Begrüßung und seine anfangs sachliche Erwiderung, die im Laufe der Zeit immer überschwänglicher wurde. Evolutionäre Entwicklungen von einem gestreckten „Konnichiwa“ über ein lauter ausgestoßenes „Ichiwa“ und die Reduktion auf das wesentliche „Wa“, welches in einen endgültigen, brunftschreigleichen „Waaaaaa!!!!!“ gipfelte.

Noch immer weiß ich nicht viel über meinen seltsamen Frühstückpartner, der wahrscheinlich Ähnliches über mich zu berichten hat. Doch wie er schreiend in weißer Strumpfhose und weißem Unterhemd an mir vorbeischreitet, sehe ich eine Vergangenheit als rockender Frontmann einer großen japanischen Band. Stadien füllend, mit gewaltigen Bässen und in Ohnmacht fallenden Groupies. Und ich frage mich, was passiert ist.


Once again it’s morning or something I consider to be the morning. The sun stands relatively crooked in the sky and the light breaks only sporadically between the street canyons. It is quiet in our house. Quiet tinny music sounds from my laptop. Uplifting coffee steam. The view from the window points at an undefined concrete square and wooden fence. The breakfast waits for something, uncooked. It is tempting to talk about silence, maybe even peace.

However, I hear steps, an awkwardly arrhythmic rumbling and scuffling. Before I’m able to make my mind up, he stands in front of me, one of our neighbours, you would like to call them occupants. Being as matter-of-fact as possible, I try a short “Konnichiwa” and await a reaction in excitement. You could philosophise in detail about the relationship between the old man and me. First advances, the awareness of being unaware, misunderstandings, the reduction of contact and inevitable restriction to the very essential. All these ups and downs, however, couldn’t do any harm to our daily ritual. My Japanese salutation and him commenting in a dry way initially, which became more and more exuberant over time. Evolutionary developments from a stretched “Konnichiwa” to a louder “Ichiwa” and the reduction to an essential “Wa”, which peaked in an ultimate, bell-like „Waaaaaa!!!!!“

I still don’t know much about my weird breakfast companion, who possibly knows similar things to tell about me. But him screaming while roaming the kitchen in white pantyhose and white shirt, I can see his past as a rockin’ lead singer of a big Japanese band. Filling stadiums with huge basses and fainting groupies. And I wonder what happened.


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